Seit knapp einem Jahr testet die Mittelhessen Netz GmbH, ein Tochterunternehmen der Stadtwerke Gießen AG, ihren ersten regelbaren Ortsnetztransformator im Heuchelheimer Ortsteil Kinzenbach. Die gesammelten Erkenntnisse stimmen positiv: Mit den intelligenten Trafos lässt sich der kostspielige Netzausbau weitgehend vermeiden.
Die Energiewende ist in vollem Gange – auch in der Region Gießen. Weil immer mehr Anlagen zur regenerativen Erzeugung von Strom entstehen, rüstet der Netzbetreiber Mittelhessen Netz GmbH (MIT.N) sein Stromnetz für diese neue Aufgabe. Mit dem Einsatz eines modernen regelbaren Ortsnetztransformators.
Warum dieser Aufwand? Das deutsche Stromnetz ist im Prinzip noch immer als Einbahnstraße konzipiert. Der Strom fließt von wenigen großen Kraftwerken zu vielen Kunden. „Eben dies verschiebt sich derzeit massiv“, weiß Frank Hoffmann, Geschäftsführer der MIT.N. Denn immer mehr Kunden produzieren Strom – etwa mit Photovoltaikanlagen – und speisen ihn ein. Folglich fließt der Strom inzwischen immer öfter auch in die andere Richtung. Deshalb sucht die MIT.N nach Möglichkeiten, diesen neuen Anforderungen an das Stromnetz mit innovativer Technik gerecht zu werden.
Noch vor einigen Jahren wäre das Problem nur mit zusätzlichen oder leistungsfähigeren Kabeln zu lösen gewesen. Doch die Zeiten ändern sich. Aktuell testet die MIT.N eine vielversprechende Alternative zum teuren und aufwendigen Netzausbau. Hier sorgt seit April 2014 ein regelbarer Ortsnetztransformator, kurz RONT, für stabile Spannungsverhältnisse. „Kinzenbach war für uns der ideale Teststandort“, erklärt Projektleiter Martin Hajdu. In der Ortschaft gibt es drei relativ leistungsfähige Solarkraftwerke, die an klaren Sonnentagen das vorhandene Niederspannungsnetz an seine Grenzen bringen. Der eingespeiste Strom findet keine Abnehmer vor Ort und die Spannung steigt an.
Intelligente Steuereinheit
Regelbar ist im Zusammenhang mit dem neuen Trafo allerdings streng genommen der falsche Ausdruck. „Eigentlich müsste es ,selbst regelnd’ heißen“, präzisiert Frank Hoffmann. Denn tatsächlich hält das Aggregat die Spannung selbstständig in einem voreingestellten Bereich. Um das zu bewerkstelligen, braucht der intelligente Transformator einige Informationen. Die bekommt er direkt aus dem Netz. An drei neuralgischen Punkten ließen die Experten der MIT.N Messgeräte installieren, die permanent die Spannung ermitteln und die Werte in die Steuerzentrale des Trafos senden. Dank dieser Daten und mithilfe eines schlauen Algorithmus entsteht hier ein sehr genaues Bild über die Spannungsverhältnisse an jedem Punkt im Netz. Das ist extrem wichtig. Denn die Spannung darf nur in einem sehr schmalen Band schwanken – lediglich zehn Prozent Abweichung sind in beide Richtungen zulässig.
Was genau passiert? Scheint die Sonne, liefern die Photovoltaikanlagen reichlich Strom, was zu einem Anstieg der Spannung im Netz führt. Eben dies melden die Sensoren an den Trafo. Nach einer kurzen Berechnung setzt sich die auf dem RONT montierte Mimik in Bewegung: Ein spezieller Schrittmotor verschiebt die Kontakte und ändert so das Übersetzungsverhältnis zwischen der ankommenden Mittelspannung und der abzugebenden Niederspannung. Schiebt sich eine Wolke vor die Sonne, sinkt die Einspeiseleistung der Photovoltaikanlagen schlagartig ab – mit der Folge, dass die Spannung im Ortsnetz abfällt. Darauf reagiert der RONT mit der gegensätzlichen Bewegung und regelt das Übersetzungsverhältnis im Trafo wieder in die andere Richtung.
Günstiger als neue Kabel
Der Trafo verrichtet seit nunmehr zehn Monaten erfolgreich seinen Dienst. „Aufgrund unserer Erfahrungen halten wir die RONT-Technik für eine echte Alternative zum Netzausbau in Heuchelheim-Kinzenbach“, freut sich Frank Hoffmann. Tatsächlich bietet die Technologie einen entscheidenden Vorteil: Ein regelbarer Ortsnetztransformator dürfte in der Mehrzahl der Fälle günstiger sein als eine Verstärkung des Netzes. So kostete der RONT in Kinzenbach inklusive des neuen Stationsgebäudes rund 80000 Euro. „Für die effektiven Mehrkosten eines RONT im Vergleich zu einem herkömmlichen Trafo könnten wir gerade einmal 600 Meter Leitung verlegen“, rechnet Frank Hoffmann vor. Ganz abgesehen vom finanziellen Vorteil freuen sich die Anwohner. Denn wenn es keine neuen Kabel braucht, muss die MIT.N die Straße nicht aufreißen lassen.
Künftig wird die MIT.N auszutauschende klassische Ortsnetztrafos immer wenn es sinnvoll ist durch solche der neuen, intelligenten Generation ersetzen. Weil viele andere Netzbetreiber das Potenzial der Technik ebenfalls erkannt haben, sollten allein wegen der Stückzahlen auch die Preise für die schlauen Aggregate nachgeben. Damit haben die Netzexperten der MIT.N einen guten Lösungsansatz für das durch die Energiewende verursachte Problem des teuren Netzausbaus gefunden.