Die Alternative zum Netzausbau

In der Anlage des „Regelbaren Ortsnetz-Trafo“ (RONT): Frank Hoffmann, Geschäftsführer der Mittelhessen- Netz GmbH (MIT.N), Marcus Weege, zuständig für die Anbindung zur Netzleitstelle, Martin Hajdu, Projektleiter der MIT.N, Michael Klein, Anlagen- verantwortlicher der Stadtwerke Gießen.

Seit knapp einem Jahr  testet die Mittelhessen Netz GmbH, ein Tochterunternehmen der Stadtwerke  Gießen AG, ihren ersten regelbaren Ortsnetztransformator im  Heuchelheimer Ortsteil Kinzenbach. Die gesammelten Erkenntnisse stimmen  positiv: Mit den intelligenten Trafos lässt sich der kostspielige  Netzausbau weitgehend vermeiden.

Die Energiewende ist in vollem Gange – auch in der Region  Gießen. Weil immer mehr Anlagen zur regenerativen Erzeugung von Strom  entstehen, rüstet der Netzbetreiber Mittelhessen Netz GmbH (MIT.N) sein  Stromnetz für diese neue Aufgabe. Mit dem Einsatz eines modernen  regelbaren Ortsnetztransformators.
Warum dieser Aufwand? Das deutsche Stromnetz ist im Prinzip noch immer  als Einbahnstraße konzipiert. Der Strom fließt von wenigen großen  Kraftwerken zu vielen Kunden. „Eben dies verschiebt sich derzeit  massiv“, weiß Frank Hoffmann, Geschäftsführer der MIT.N. Denn immer mehr  Kunden produzieren Strom – etwa mit Photovoltaikanlagen – und speisen  ihn ein. Folglich fließt der Strom inzwischen immer öfter auch in die  andere Richtung. Deshalb sucht die MIT.N nach Möglichkeiten, diesen  neuen Anforderungen an das Stromnetz mit innovativer Technik gerecht zu  werden.
Noch vor einigen Jahren wäre das Problem nur mit zusätzlichen oder  leistungsfähigeren Kabeln zu lösen gewesen. Doch die Zeiten ändern sich. Aktuell testet die MIT.N eine vielversprechende Alternative zum teuren  und aufwendigen Netzausbau. Hier sorgt seit April 2014 ein regelbarer  Ortsnetztransformator, kurz RONT, für stabile Spannungsverhältnisse. „Kinzenbach war für uns der ideale Teststandort“, erklärt Projektleiter  Martin Hajdu. In der Ortschaft gibt es drei relativ leistungsfähige  Solarkraftwerke, die an klaren Sonnentagen das vorhandene  Niederspannungsnetz an seine Grenzen bringen. Der eingespeiste Strom  findet keine Abnehmer vor Ort und die Spannung steigt an.

Intelligente Steuereinheit
Regelbar ist im Zusammenhang mit dem neuen Trafo allerdings streng  genommen der falsche Ausdruck. „Eigentlich müsste es ,selbst regelnd’  heißen“, präzisiert Frank Hoffmann. Denn tatsächlich hält das Aggregat  die Spannung selbstständig in einem voreingestellten Bereich. Um das zu  bewerkstelligen, braucht der intelligente Transformator einige  Informationen. Die bekommt er direkt aus dem Netz. An drei neuralgischen  Punkten ließen die Experten der MIT.N Messgeräte installieren, die  permanent die Spannung ermitteln und die Werte in die Steuerzentrale des  Trafos senden. Dank dieser Daten und mithilfe eines schlauen  Algorithmus entsteht hier ein sehr genaues Bild über die  Spannungsverhältnisse an jedem Punkt im Netz. Das ist extrem wichtig.  Denn die Spannung darf nur in einem sehr schmalen Band schwanken –  lediglich zehn Prozent Abweichung sind in beide Richtungen zulässig.
Was genau passiert? Scheint die Sonne, liefern die Photovoltaikanlagen  reichlich Strom, was zu einem Anstieg der Spannung im Netz führt. Eben  dies melden die Sensoren an den Trafo. Nach einer kurzen Berechnung  setzt sich die auf dem RONT montierte Mimik in Bewegung: Ein spezieller  Schrittmotor verschiebt die Kontakte und ändert so das  Übersetzungsverhältnis zwischen der ankommenden Mittelspannung und der  abzugebenden Niederspannung. Schiebt sich eine Wolke vor die Sonne,  sinkt die Einspeiseleistung der Photovoltaikanlagen schlagartig ab – mit  der Folge, dass die Spannung im Ortsnetz abfällt. Darauf reagiert der  RONT mit der gegensätzlichen Bewegung und regelt das  Übersetzungsverhältnis im Trafo wieder in die andere Richtung.

Günstiger als neue Kabel
Der Trafo verrichtet seit nunmehr zehn Monaten erfolgreich seinen  Dienst. „Aufgrund unserer Erfahrungen halten wir die RONT-Technik für  eine echte Alternative zum Netzausbau in Heuchelheim-Kinzenbach“, freut  sich Frank Hoffmann. Tatsächlich bietet die Technologie einen  entscheidenden Vorteil: Ein regelbarer Ortsnetztransformator dürfte in  der Mehrzahl der Fälle günstiger sein als eine Verstärkung des Netzes.  So kostete der RONT in Kinzenbach inklusive des neuen Stationsgebäudes  rund 80000 Euro. „Für die effektiven Mehrkosten eines RONT im Vergleich  zu einem herkömmlichen Trafo könnten wir gerade einmal 600 Meter Leitung  verlegen“, rechnet Frank Hoffmann vor. Ganz abgesehen vom finanziellen  Vorteil freuen sich die Anwohner. Denn wenn es keine neuen Kabel  braucht, muss die MIT.N die Straße nicht aufreißen lassen.
Künftig wird die MIT.N auszutauschende klassische Ortsnetztrafos immer wenn es sinnvoll ist durch solche der neuen, intelligenten Generation  ersetzen. Weil viele andere Netzbetreiber das Potenzial der Technik  ebenfalls erkannt haben, sollten allein wegen der Stückzahlen auch die  Preise für die schlauen Aggregate nachgeben. Damit haben die  Netzexperten der MIT.N einen guten Lösungsansatz für das durch die  Energiewende verursachte Problem des teuren Netzausbaus gefunden.

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