Long Range Wide Area Network, kurz LoRaWAN, bietet enormes Potenzial für Gewerbe, Industrie und Kommunen. Deshalb experimentieren die Stadtwerke Gießen schon länger mit dieser Technologie. In den nächsten Monaten soll der Innenstadtbereich mit LoRaWAN abgedeckt sein.
Wie hoch ist der CO2-Gehalt in der Luft der Sporthalle? Wo liegt deren Raumtemperatur? Und wie sieht es mit der Luftfeuchtigkeit aus? Diese und andere Daten bekommt der Hausmeister bzw. Gebäudeverwalter der Goetheschule jetzt übersichtlich aufbereitet auf seinen Rechner. Geliefert von den Stadtwerken Gießen (SWG). Die Kooperation mit dem Hochbauamt der Universitätsstadt Gießen ist eines von vier Pilotprojekten, mit denen die SWG die Einsatzmöglichkeiten eines Long Range Wide Area Networks (LoRaWAN) testen.
„Unsere ersten Erfahrungen bestätigen uns in der Entscheidung, auf die leistungsfähige Funktechnik zu setzen“, erklärt Jens Schmidt, kaufmännischer Vorstand der SWG. Tatsächlich sind mit LoRaWAN viele sinnvolle Anwendungen denkbar. Beispiel Goetheschule. Hier überwachen Sensoren, ob die Sporthalle genutzt wird und ob deren Zugangstür offen oder geschlossen ist. Ein im Keller befindlicher, potenziell feuchter Werkraum wird permanent auf seine Temperatur und die Luftfeuchtigkeit hin überprüft. „Diese beiden Parameter geben Aufschluss darüber, ob sich Schimmel bilden könnte“, erklärt Matthias Funk, technischer Vorstand der SWG, den Nutzen. „Und wer den Zustand kennt, kann Abhilfe schaffen.“ In diesem Fall durch einfaches Lüften.
Einem ganz ähnlichen Zweck dient die Überwachung des CO2-Gehalts der Luft in der Sporthalle. Wichtig zu wissen: Die Anteile von Aerosolen und CO2 in der Luft entwickeln sich parallel. Viel CO2 bedeutet also viele Aerosole. Die winzigen, in der Luft verteilten Teilchen direkt zu messen, wäre ungleich aufwendiger. „Aktuell ist regelmäßiger, ausreichender Luftaustausch ein zentrales Thema, was die Aerosole betrifft“, weiß Matthias Funk. Nicht nur wegen Corona. Frische, trockenere Luft lässt sich mit weniger Energie erwärmen als feuchte. Insofern sollten die stündlichen Checks des Raumklimas auch die Energieeffizienz verbessern.
Darüber hinaus haben die SWG LoRaWAN-Sender an allen Strom-, Fernwärme- und Wasserzählern der Goetheschule angebracht. Auch hier werden die Daten stündlich übertragen. Die daraus abzuleitenden Erkenntnisse sorgen für Transparenz, was den Verbrauch angeht. Weiterhin verbessern und vereinfachen die automatischen Erfassungen die aktuell noch manuell durchgeführten Ablesungen der Hausmeister für das Energiemanagement der Stadt Gießen. Rauchmelder in der Lüftungsanlage runden das Komplettpaket ab. Eine aufwendige Verkabelung der Sensoren ist durch die Funktechnik ebenfalls nicht notwendig. „Allein in dieser einen Liegenschaft lassen sich viele nützliche Anwendungen von LoRaWAN demonstrieren“, findet Astrid Eibelshäuser, Vorsitzende des Aufsichtsrats der SWG. „Ich kann mir gut vorstellen, dass die Stadt Gießen noch weitere ähnliche Projekte mit den SWG aufsetzt.“
Anfänge im eigenen Haus
Bevor die SWG auf die Stadt und die Goetheschule zugingen, testeten sie die Technik schon im eigenen Unternehmen. So senden zum Beispiel alle im Werksgelände in der Lahnstraße eingebauten Fernwärmezähler ihre Daten stündlich an den Server zur Verarbeitung. Aber nicht nur die Verbrauchsdaten, sondern auch andere, vor allem für die Ingenieure maßgebliche Informationen – etwa die Temperaturen von Vor- und Rücklauf.
Im SWG-Kundenzentrum am Marktplatz melden Sensoren die aktuelle Zahl der in den Räumen befindlichen Personen. Das dient momentan natürlich speziell dazu, Besucherströme zu steuern und dafür zu sorgen, dass nur so viele Menschen vor den Tresen stehen, wie es die Behörden derzeit zulassen. Auf lange Sicht bergen solche Zählungen aber deutlich mehr Potenzial – auch für viele andere Unternehmen. Denn wer weiß, wann üblicherweise wie viele Kunden kommen, kann sich viel besser darauf einrichten. Und etwa die Öffnungszeiten oder die Personalplanung entsprechend anpassen.
Das vierte Pilotprojekt beschäftigt sich mit dem Themenkomplex Parkraumbewirtschaftung. Hierbei überwachen die SWG die Belegung der beiden Stellplätze an ihrer E-Ladesäule auf dem Parkplatz gegenüber der SWG-Hauptverwaltung in der Lahnstraße. „Aktuell geht es noch darum, die Zuverlässigkeit der Sensoren zu testen. Aber die ersten Auswertungen stimmen uns sehr optimistisch“, freut sich Fabian Fischer, Projektleiter bei den SWG. Der Fachinformatiker für Systemintegration beschäftigte sich im Rahmen seines Ausbildungsprojekts für die Abschlussprüfung mit dem Aufbau der Testsysteme. Inzwischen ist er bei den SWG angestellt und der erste duale Student des Unternehmens. Als solcher wird er das Thema LoRaWAN weiter vorantreiben.
Was steckt hinter LoRaWAN
Ein LoRaWAN besteht im Grunde aus drei Komponenten: Sensoren, die Daten sammeln und senden, Empfängern – sogenannten Gateways –, die diese Daten über das Internet weiterleiten, und einem Server, der die gesammelten Informationen aufbereitet. „Diese Aufbereitung ist ein elementarer Bestandteil“, ergänzt Fabian Fischer. Denn erst eine intelligente Visualisierung der Daten ermöglicht es, sinnvolle Schlüsse daraus zu ziehen. Oder bestimmte Prozesse in Gang zu setzen. Dafür gibt es eine vierte Komponentengruppe, die sogenannten Aktoren. Sie starten etwa die Wasserzufuhr für eine Bewässerungsanlage, wenn die Feuchtigkeit im Boden unter einen definierten Wert sinkt. Oder sorgen für eine automatische Lüftung bei zu hohen CO2-Werten, indem sie motorbetriebene Fenster öffnen – und wieder schließen, wenn genug frische Luft im Raum ist.
„LoRaWAN bietet enormes Potenzial“, führt Matthias Funk weiter aus. Fakt ist: Schon heute sind unzählige Sensoren und Aktoren für vielerlei Anwendungen erhältlich. Etwa für Landwirte, die Stickstoffwerte in ihren Böden nachverfolgen möchten. Logistikunternehmen könnten LoRaWAN einsetzen, um die jeweils freien Kapazitäten in Lagern zu erfassen. Sogar für Bienenstöcke gibt es schon spezielle Kombisensoren, die verschiedene Parameter messen. Die so gesammelten Informationen versetzen Imker in die Lage, das Geschehen in den Beuten zu beurteilen, ohne ihre Völker zu stören.
Netz für Gießen
Weil die Nutzung von LoRaWAN so vielseitig ist, haben die Verantwortlichen bei den SWG beschlossen, ein Netz für die Gießener Innenstadt aufzubauen. Hierfür genügen sieben Gateways. Sie schaffen eine so gute Abdeckung, dass von praktisch jedem Punkt aus immer mindestens drei für die Sensoren in Reichweite sind. Das sorgt für die nötige Zuverlässigkeit. Bei der Installation dieser Empfängermodule kooperieren die SWG ebenfalls mit der Stadt Gießen. „Wir dürfen einige städtische Liegenschaften nutzen, um die Gateways zu montieren“, konkretisiert Fabian Fischer die Zusammenarbeit.
Für die Standorte der Sensoren und Aktoren gibt es praktische keine räumlichen Beschränkungen. Die Übertragung funktioniert sogar aus Kellern mit vergleichsweise dicken Decken – wie zum Beispiel in der Goetheschule. Nicht einmal eine Stromversorgung ist nötig, weil die Geräte mit Batterien arbeiten. Und das über eine sehr lange Zeit. Denn sie senden ihre Daten nur in bestimmten, zuvor definierten Abständen. Darüber hinaus ist die nötige Sendeleistung extrem niedrig – sie liegt deutlich unter der eines Smartphones.
Natürlich bauen die SWG das LoRaWAN auch auf, um es selbst zu nutzen. So sollen nach und nach alle Fernwärmezähler mit entsprechenden Sensoren zur Fernübertragung ausgestattet werden. Was die Ablesung deutlich effizienter macht. Darüber hinaus stellen die SWG diese neue Infrastruktur aber auch allen anderen gewerblichen oder kommunalen Interessenten zur Verfügung. „Wir öffnen nicht nur unser Netz, sondern liefern zudem gleichzeitig die für die einzelnen Anwendungen sinnvollen und nützlichen visualisierten Auswertungen“, beschreibt Jens Schmidt das Angebot. Sollte es zu Anfragen außerhalb des Innenstadtbereichs kommen, prüfen die SWG, ob und wie eine Anbindung möglich ist. „Wir haben vor, unser Netz bedarfsorientiert zu erweitern“, kündigt Jens Schmidt an.
LoRaWAN könnte Gießen in Zukunft also ein bisschen intelligenter machen. Und effizienter. Denn auf dem Weg zur klimaneutralen Kommune braucht es neben CO2-freier Energie vor allem eines: Transparenz, was den Energieverbrauch angeht. Und genau für diesen Punkt dürfte LoRaWAN eine zentrale Rolle spielen.