SWG investieren in Versorgungssicherheit

Jens Schmidt, Kaufmännischer Vorstand der SWG, Gießens Bürgermeisterin Gerda Weigel-Greilich, Stadträtin und SWG-Aufsichtsratsvorsitzende Astrid Eibelshäuser, Leiter der Netzleitstelle Kai Timmermann und IT-Sicherheitsbeauftragter Jörg Scheibelberger bei der Inbetriebnahme der Netzleitstelle

Am Freitag nahmen die Stadtwerke Gießen (SWG) ihre neue Netzleitstelle offiziell in Betrieb. Von den vier hochmodernen Arbeitsplätzen im Heizkraftwerk Leihgesterner Weg aus haben die Schaltwärter jetzt alle Netze der SWG 24 Stunden am Tag im Blick. Ein Plus in Sachen Versorgungssicherheit. Und die Option, ein weiteres Geschäftsfeld zu erschließen.

Strom, Erdgas, Wasser und Fernwärme – die Stadtwerke Gießen (SWG) beliefern rund 100.000 Kunden. Um das zuverlässig zu gewährleisten, braucht es zweierlei: sichere, gut ausgebaute Netze und die Möglichkeit, eben diese Leitungen und die darin integrierten Anlagen zu überwachen und zu steuern. Genau zu diesem Zweck haben die SWG im vergangenen Jahr eine neue zentrale Netzleitstelle aufgebaut und gestern nach rund drei Monaten erfolgreichem Testbetrieb offiziell in Dienst genommen.

Hinter der mit modernster Technik ausgestatteten Leitwarte steckt eine völlig neue Organisation. Bislang war es bei den SWG Usus, eine Leitstelle für das Fernwärmenetz und eine zweite für die Strom-, Erdgas- und Wassernetze zu unterhalten. „In der Vergangenheit hatte das durchaus seine Berechtigung. Aber die neue Energiewelt erfordert von allen Akteuren auf dem Markt mehr Flexibilität“, begründet Jens Schmidt, Kaufmännischer Vorstand der SWG, die Entscheidung.

Der kleine Unterschied
Tatsächlich unterscheidet sich die Überwachung eines Fernwärmenetzes von der eines Strom-, Gas- oder Wassernetzes. Denn im Bereich Fernwärme gilt es vor allem, die vielen verschiedenen Erzeugungsanlagen im Blick zu haben und aufeinander abzustimmen. In den drei anderen Sparten geht es im Wesentlichen darum, den sicheren Transport aufrecht zu erhalten. „Trotzdem lassen sich diese verschiedenen Aufgaben sehr gut in einer zentralen Netzleitstelle erledigen. Genau genommen sogar besser“, weiß Kai Timmermann, Leiter der Netzleitstelle. Denn die neue Organisation ermöglicht es, die Netzleitstelle mit dem gleichen Personal rund um die Uhr zu besetzen. Bisher übernahmen die Kollegen, die für die Strom-, Erdgas- und Wassernetze zuständig waren, abwechselnd Nachtbereitschaften. „Das hat all die Jahre sehr gut funktioniert“, ergänzt Matthias Fink, Leiter der Abteilung Wärmeversorgung bei den SWG. „Aber wir gehen davon aus, dass wir künftig speziell beim Strom deutlich öfter eingreifen müssen.“

Auslöser für diese Überlegungen sind die Energiewende und der Klimawandel. Weil immer mehr Strom aus erneuerbaren Energiequellen ins deutsche Stromnetz gelangt, müssen die Spezialisten in den Leitwarten immer schneller reagieren, um die damit verbundenen Schwankungen auszugleichen. Zudem verschärfen die offenbar zunehmenden Wetterextreme die Situation in einer Netzleitstelle. „Das Risiko für eine echte Krise – etwa wegen eines Sturms, der eine Hochspannungsleitung zerstört – hat sich in den letzten Jahren deutlich erhöht“, fügt Astrid Eibelshäuser, Aufsichtsratsvorsitzende der Stadtwerke Gießen, hinzu.

Effektiver zusammenarbeiten
Beiden Risiken treten die Stadtwerke Gießen mit ihrer neuen Netzleitstelle entgegen. Und entschärfen dabei gleich noch ein weiteres Problem. Wenn es zu einem Stromausfall kommt, ist das Fernwärmenetz zwangsläufig mit betroffen. Denn ohne Strom funktionieren weder Brenner noch Pumpen. „Die Kollegen sitzen jetzt im gleichen Raum – im Grunde direkt nebeneinander. Das erleichtert die Abstimmung und die gemeinsame Arbeit an ein und demselben komplexen Problem spürbar“, freut sich Kai Timmermann.

Eine wesentliche Aufgabe der Schaltwärter in einer Netzleitstelle ist es, Störungen, die trotz aller Sorgfalt in der Wartung immer wieder auftreten können, zu erkennen und zu beheben. Oder zumindest eine zeitnahe Reparatur zu veranlassen. Das passiert regelmäßig und bleibt nicht selten von den Kunden unbemerkt. „Mit der durchgehenden 24/7-Besetzung der Leitwarte haben wir jetzt optimale Bedingungen geschaffen“, ist sich Matthias Fink sicher.

Strenge Norm erfüllt
Die neue Netzleitstelle unterliegt besonderen Sicherheitsvorschriften. Zu Recht – schließlich ist sie, wie die gesamte IT, ein zentraler Bestandteil der immer digitaler werdenden, kritischen Versorgungsinfrastruktur. Eben deshalb gehört sie zu den Bereichen der SWG, für die die Stadtwerke Gießen in den letzten Monaten ein eigenes Informationssicherheits-Managementsystem (ISMS) aufgebaut haben. Dieses ISMS wurde schließlich im Dezember 2017 nach ISO 27001 zertifiziert. „Die strengen Anforderungen dieser Norm waren von Anfang an die Basis für all unsere Planungen“, erinnert sich Jörg Scheibelberger, IT-Sicherheitsbeauftragter bei den SWG. Bevor die neue Netzleitstelle in Betrieb ging, inspizierten unabhängige Prüfer die im Einsatz befindlichen technischen Komponenten, die Organisation und die geforderte Dokumentation, bevor sie die entsprechende Zertifizierung erteilen konnten. „Bei einer solchen Zertifizierung zählt jedes Detail, von der Zugangsregelung über die Vergabe der Verantwortlichkeiten bis hin zu klar definierten Arbeitsprozessen und einer transparenten Risikobewertung“, ergänzt Kai Timmermann. Die Erfüllung der Auflagen bleibt eine permanente Aufgabe: Jährlich kommen die Prüfer für kleinere Audits, alle drei Jahre steht eine vollständige Rezertifizierung an.

Mit der neuen Netzleitstelle und der dahinter stehenden Organisation haben die SWG die Weichen für die Zukunft gestellt. Und das nicht nur im Hinblick auf die Netze im SWG-Konzern. Tatsächlich möchten die Verantwortlichen das Know-how ihrer Experten aus dem Leihgesterner Weg anderen Netzbetreibern zur Verfügung zu stellen. „Wir planen, die Netzüberwachung künftig als Dienstleistung anzubieten“, erklärt Jens Schmidt. An der Nachfrage sollte es nicht scheitern. Schließlich stehen alle Netzbetreiber vor den gleichen Herausforderungen. Aber bei Weitem nicht alle haben die finanziellen Möglichkeiten wie die SWG, und die allerwenigsten starten auf einem vergleichbaren Niveau. Vor allem kleinere Kommunen, die ihre Netze selbst betreiben, dürften sich für eine solche Option interessieren. Die Chancen stehen also nicht schlecht, dass von der neuen Netzleitstelle aus in Zukunft auch Netze in ganz anderen Regionen Deutschlands kontrolliert werden.

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